Vor der Natur gibt es kein Urteil; sie hat immer recht.
– Rainer Maria Rilke
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Vor der Natur gibt es kein Urteil; sie hat immer recht.
– Rainer Maria Rilke
Ich liebe diese Stunde, die anders ist, kommt und geht. Nein, nicht die Stunde, diesen Augenblick liebe ich, der so still ist. Diesen Anfangs-Augenblick, diese Initiale der Stille, diesen ersten Stern, diesen Anfang. Dieses Etwas in mir, das aufsteht, wie junge Mädchen aufstehn in ihrer weißen Mansarde... Diese Nacht liebe ich. Nein, nicht diese Nacht, diesen Nachtanfang, diese eine lange Anfangszeile der Nacht, die ich nicht lesen werde, weil sie kein Buch für Anfänger ist. Diesen Augenblick liebe ich, der nun vorüber ist und von dem ich, da er verging, fühlte, daß er erst sein wird.
– Rainer Maria Rilke
Das ist des Dichters wahre erhabene Kunst, dem Leser die Begebnisse, die er erzählt, so lebhaft vor Augen zu führen, daß ihm die Gegenwart und seine ganze Umgebung zu entfliehen scheint, und daß er nicht nur ein Kunstwerk empfindet, sondern über dessen klarer Natürlichkeit die Kunst vergißt und die Begebenheit miterlebt.
– Rainer Maria Rilke
Lebe deine Fragen jetzt, und vielleicht wirst du, ohne es zu wissen, eines fernen Tages in deinen Antworten leben.
– Rainer Maria Rilke
Willst Du, ich soll Dir geben, sei, bitte, erst Schale und schön, sei erst bereit zu empfangen und ruhig zum Halten.
– Rainer Maria Rilke
Ist es möglich, daß man von den Mädchen nichts weiß, die doch leben? Ist es möglich, daß man »die Frauen« sagt, »die Kinder«, »die Knaben« und nicht ahnt (bei aller Bildung nicht ahnt), daß diese Worte längst keine Mehrzahl mehr haben, sondern nur unzählige Einzahlen?
– Rainer Maria Rilke
Freude ist unsäglich mehr als Glück, Glück bricht über die Menschen herein, Glück ist Schicksal – Freude bringen sie in sich zum Blühen, Freude ist einfach eine gute Jahreszeit über dem Herzen; Freude ist das Äußerste, was die Menschen in ihrer Macht haben.
– Rainer Maria Rilke
Man darf die Klagesaiten nur dann so ausführlich gebrauchen, wenn man entschlossen ist, auf ihnen, mit ihren Mitteln, später auch den ganzen Jubel zu spielen, der hinter jedem Schweren, Schmerzhaften und Ertragenem anwächst und ohne den die Stimmen nicht vollständig sind.
– Rainer Maria Rilke
Deine Erfahrungen sollten nirgends umkehren, nicht erschrecken, an keinen Türen horchen, überall leise und aufrecht durchgehen wie starke pflegende Schwestern, die ans Handeln gewohnt sind, wo andere jammern.
– Rainer Maria Rilke
Ich glaube nicht, daß das zerstörte Alte schon etwas Neues ist.
– Rainer Maria Rilke
Um sich zu erfüllen muß sie [die Kunst] dort wirken, wo Alle – Einer sind. Wenn sie dann diesen Einen beschenkt, kommt grenzenloser Reichtum über Alle.
– Rainer Maria Rilke
Der Schicksale sind nicht viele: wenige große wechseln beständig ab und ermüden an denen, die mit unbegrenzt emfindendem Herzen unzerstört hingehn.
– Rainer Maria Rilke
So sind die Menschen falsche Aristokraten. Sie glauben, ihr Reichtum beruhe darin, das Andenken großer Vorfahren zu feiern und zu preisen. Und dabei könnten sie um so vieles reicher sein, wenn sie ihre eigenen Möglichkeiten feiern und preisen wollten.
– Rainer Maria Rilke
Das ist das Wunder, das denjenigen, die wirklich lieben, jedes Mal widerfährt: Je mehr sie geben, desto mehr besitzen sie.
– Rainer Maria Rilke
Sei jedem Abschied voraus!
– Rainer Maria Rilke
Die Menschen, wenn es angeht, sie ganz vorübergehend mit Deckeln zu vergleichen, sitzen höchst ungern und schlecht auf ihren Beschäftigungen. Teils weil sie nicht auf die richtigen gekommen sind in der Eile, teils weil man sie schief und zornig aufgesetzt hat, teils weil die Ränder, die aufeinander gehörten, verbogen sind, jeder auf seine Art.
– Rainer Maria Rilke
Vielleicht sind alle Drachen in unserem Leben Prinzessinnen, die nur darauf warten, uns einmal schön und mutig zu sehen.
– Rainer Maria Rilke
Wenn der Mensch doch aufhörte, sich auf die Grausamkeit der Natur zu berufen, um seine eigene zu entschuldigen! Er vergißt, wie unendlich schuldlos auch noch das Fürchterlichste in der Natur geschieht.
– Rainer Maria Rilke
Die Frau hat seit Jahrhunderten die ganze Arbeit in der Liebe geleistet.
– Rainer Maria Rilke
Spätherbst in Venedig Nun treibt die Stadt schon nicht mehr wie ein Köder, der alle aufgetauchten Tage fängt. Die gläsernen Paläste klingen spröder an deinen Blick. Und aus den Gärten hängt der Sommer wie ein Haufen Marionetten kopfüber, müde, umgebracht. Aber vom Grund aus alten Waldskeletten steigt Willen auf: als sollte über Nacht der General des Meeres die Galeeren verdoppeln in dem wachen Arsenal, um schon die nächste Morgenluft zu teeren mit einer Flotte, welche ruderschlagend sich drängt und jäh, mit allen Flaggen tagend, den großen Wind hat, strahlend und fatal.
– Rainer Maria Rilke
Das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen.
– Rainer Maria Rilke
Hier ist das Wunder, das allen immer widerfährt, die wirklich lieben; je mehr sie geben, desto mehr besitzen sie von der kostbaren erhaltenden Liebe, die Blumen und Kindern Stärke verleiht und die allen Menschen helfen könnte, wenn sie sie ohne Zweifel hinnähmen.
– Rainer Maria Rilke
Das Mädchen und die Frau ... werden nur vorübergehend Nachahmer männlicher Unart und Art und Wiederholer männlicher Berufe sein. Nach der Unsicherheit solcher Übergänge wird sich zeigen, daß die Frauen durch die Fülle und Wechsel jener (oft lächerlichen) Verkleidungen nur gegangen sind, um ihr eigenstes Wesen von den entstellenden Einflüssen des anderen Geschlechtes zu reinigen.
– Rainer Maria Rilke
XXVI Matt durch der Tale Gequalme wankt Abend auf goldenen Schuhn, – Falter, der träumend am Halme hangt, weiß nichts vor Wonne zu tun. Alles schlürft heil an der Stille sich. – Wie da die Seele sich schwellt, daß sie als schimmernde Hülle sich legt um das Dunkel der Welt.
– Rainer Maria Rilke
Die Zukunft dringt in uns ein, um sich in uns zu verwandeln, lange bevor sie geschieht.
– Rainer Maria Rilke
Diese plötzliche Verlagerung aller Kräfte in uns, diese Begegnungen mit der Seele geschehen nur nach vielen Krisen; die meisten Künstler vermeiden diese, indem sie sich ablenken, und das ist der Grund, warum sie es nie fertigbringen, zum Zentrum ihrer Produktivität zurückzukehren, von dem sie im Moment ihres reinsten Impulses ausgegangen sind.
– Rainer Maria Rilke
Man muß nie verzweifeln, wenn einem etwas verloren geht, ein Mensch oder eine Freude oder ein Glück; es kommt alles noch herrlicher wieder. Was abfallen muß, fällt ab; was zu uns gehört, bleibt bei uns, denn es geht alles nach Gesetzen vor sich, die größer als unsere Einsicht sind und mit denen wir nur scheinbar im Widerspruch stehen. Man muß in sich selber leben und an das ganze Leben denken, an alle seine Millionen Möglichkeiten, Weiten und Zukünfte, dem gegenüber es nichts Vergangenes und Verlorenes gibt.
– Rainer Maria Rilke
Alles Glück, von dem je Herzen gezittert haben; alle Größe, an die zu denken uns fast zerstört; jeder von den weiten umwandelnden Gedanken: es gab einen Augenblick, da sie nichts waren als das Schürzen von Lippen, das Hochziehn von Augenbrauen, schattige Stellen auf Stirnen; und dieser Zug um den Mund, diese Linie über den Lidern, diese Dunkelheit auf einem Gesicht, – vielleicht waren sie genau so schon vorher da: als Zeichnung auf einem Tier, als Furche in einem Felsen, als Vertiefung auf einer Frucht...
– Rainer Maria Rilke
Andere Leute setzen unheimlich schnell ihre Gesichter auf, eins nach dem andern, und tragen sie ab. […] Ihr letztes ist in acht Tagen durch, hat Löcher, ist an vielen Stellen dünn wie Papier, und da kommt dann nach und nach die Unterlage heraus, das Nichtgesicht, und sie gehen damit herum.
– Rainer Maria Rilke
In Italien laufen sie blind an tausend leisen Schönheiten vorbei zu jenen offiziellen Sehenswürdigkeiten hin, die sie doch meistens nur enttäuschen, weil sie, statt irgendein Verhältnis zu den Dingen zu gewinnen, nur den Abstand merken zwischen ihrer verdrießlichen Hast und dem feierlich-pedantischen Urteil des Kunstgeschichtsprofessors, welches der Baedeker ehrfurchtsvoll gedruckt verzeichnet. Fast würde ich denen den Vorzug geben, welche als erste, weit überragende Erinnerung mitbringen: das gute Kotelett, welches sie gegessen haben; denn sie bringen doch wenigstens eine aufrichtige Freude mit, etwas Lebendiges. Eigenes. Intimes.
– Rainer Maria Rilke