Die Bescheidenheit ist nichts anderes als Faulheit, Mattigkeit und Mangel an Mut, so daß man mit Recht sagen kann, daß die Bescheidenheit für die Seele eine Erniedrigung ist.
- François de La Rochefoucauld

Klugwort Reflexion zum Zitat
François de La Rochefoucauld stellt in diesem Zitat eine provokante These auf: Bescheidenheit sei nicht etwa eine Tugend, sondern eine Form der Schwäche. Er betrachtet sie als eine passive Haltung, die aus Angst, Trägheit oder mangelndem Selbstvertrauen resultiert und letztlich die Seele entkräftet, anstatt sie zu stärken.
Dieses Zitat stellt die traditionelle Auffassung von Bescheidenheit als eine positive Eigenschaft in Frage. Während viele Philosophien und Religionen Bescheidenheit als Zeichen von Weisheit und Charakterstärke preisen, sieht La Rochefoucauld darin eine Art Kapitulation – ein Vermeiden von Konfrontation und ehrgeizigem Streben nach Größe. Für ihn ist Bescheidenheit keine noble Zurückhaltung, sondern eine Art Selbstverleugnung, die Menschen daran hindert, ihr volles Potenzial zu entfalten.
Das Zitat regt dazu an, über die Rolle von Bescheidenheit im eigenen Leben nachzudenken. Bedeutet Bescheidenheit wirklich, sich selbst zurückzunehmen, oder ist sie eine kluge Form der Selbstkontrolle? Fördert sie inneren Frieden oder verhindert sie Fortschritt? La Rochefoucauld fordert uns auf, über unsere eigene Haltung nachzudenken: Sind wir wirklich bescheiden aus Überzeugung – oder aus Angst davor, aus der Masse hervorzustechen?
Kritisch könnte man fragen, ob seine Sichtweise nicht zu einseitig ist. Gibt es nicht eine Form der Bescheidenheit, die aus Stärke erwächst – aus dem Wissen um die eigenen Grenzen und aus Respekt gegenüber anderen? Vielleicht ist Bescheidenheit nicht immer eine Schwäche, sondern eine bewusste Entscheidung, sich nicht durch Ego oder Status definieren zu lassen. La Rochefoucaulds Zitat lädt dazu ein, Bescheidenheit nicht als automatisches Ideal zu akzeptieren, sondern kritisch zu hinterfragen, ob sie uns wirklich weiterbringt oder uns zurückhält.
Zitat Kontext
François de La Rochefoucauld (1613–1680) war ein französischer Adliger und Schriftsteller, bekannt für seine scharfsinnigen Aphorismen über Moral, Gesellschaft und menschliche Schwächen. Seine Reflexionen zeichnen sich durch eine realistische bis zynische Sicht auf menschliche Natur aus.
Das Zitat steht im Kontext seiner allgemeinen Skepsis gegenüber moralischen Idealen. La Rochefoucauld glaubte, dass viele vermeintliche Tugenden in Wirklichkeit Ausdruck von Schwäche oder Selbsttäuschung seien. Seine Werke hinterfragen, ob Tugenden wie Bescheidenheit, Demut oder Selbstlosigkeit wirklich moralische Errungenschaften sind – oder ob sie nur gesellschaftlich anerzogene Formen der Passivität darstellen.
Historisch betrachtet, lebte La Rochefoucauld in einer Zeit, in der Höflichkeit und Zurückhaltung hohe gesellschaftliche Werte waren. Sein Zitat kann als Gegenposition zu diesen Erwartungen verstanden werden – als Plädoyer für einen aktiven, mutigen Lebensstil, der sich nicht hinter Bescheidenheit versteckt.
Auch heute bleibt das Zitat aktuell. In einer Welt, in der Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen oft als Schlüssel zum Erfolg gelten, stellt sich die Frage: Ist Bescheidenheit wirklich eine Tugend – oder hält sie uns davon ab, unser volles Potenzial zu entfalten? La Rochefoucaulds Worte laden dazu ein, Bescheidenheit nicht als gegeben zu betrachten, sondern ihre Rolle in unserem Leben kritisch zu reflektieren.
Daten zum Zitat
- Autor:
- François de La Rochefoucauld
- Tätigkeit:
- französischer Adliger, Soldat und Schriftsteller
- Epoche:
- Aufklärung
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- Emotion:
- Keine Emotion